Dienstag, 6. Januar 2015

Familie und Hauswirtschaft.

aus nzz.ch, 6.1.2015, 11:30 Uhr                                        oskisch: Kindergrab in Paestum

«Familie»

von Klaus Bartels 

Was ist eine Familie? Da denken wir an einen trauten Familienkreis von Vater und Mutter, Söhnen und Töchtern und weiter an vielfach verzweigte Stammbäume mit Ringlein für die Eheschliessungen und Linien für die Blutsverwandtschaften: Da geht es zu den Grosseltern hinauf und zu den Enkeln hinab und seitwärts zu Geschwistern, Onkeln und Tanten, Neffen und Nichten hinüber. Bei den Patchwork-Familien geht das alles ein wenig durcheinander; aber die «Familie» selbst ist auf einem einzigen Stamm gewachsen.

Aus dem Oskischen

Das Wort stammt aus dem Oskischen, einer in früher Zeit in Kampanien gesprochenen, später vom Lateini- schen verdrängten Sprache. Seinen ersten Auftritt hat es – noch in Gestalt eines peinlich endungslosen famul, «Diener, Sklave» – in einem Fragment des altrömischen Dichters Ennius, der sich stolz der «drei Herzen» in seiner Brust rühmte, seines heimischen oskischen, eines griechischen und eines lateinischen. In zwei epischen Versen ist da die Rede von einem «höchsten Sterblichen», den die Glücksgöttin «aus dem höchsten Königsrang» unversehens habe stürzen lassen, «ut famul infimus esset – dass er der niederste Diener sei». Die Römer verpassten dem fremden, blossen famul alsbald eine anständige lateinische Endung, stellten dem männlichen famulus eine weibliche famula zur Seite und gewannen dem Wort noch das zukunftsträchtige Kollektivum einer familia ab.


Oskisch

Die so assimilierte familia bezeichnete eigentlich die gesamte «Dienerschaft» oder «Sklavenschaft» in der Wirtschaftsgemeinschaft eines antiken Haushalts, und die reichte in vermögenden Verhältnissen etwa vom Chef de service und der Küchenbrigade im römischen Stadthaus bis hin zu den Sklavenkohorten in einer stadtnahen Sommervilla oder auf weiteren Gütern irgendwo in den Provinzen. Zu einer solchen familia mochten schon im Stadthaus leicht Dutzende, auf den übrigen Besitzungen leicht Tausende zählen. In Neronischer Zeit rühmt einer den Reichtum des Petronischen Trimalchio mit den Worten: «Grund und Boden hat der, soweit die Milane fliegen [. . .] Und erst die familia: Ich glaube, nicht einmal jeder zehnte von denen kennt seinen Herrn.»

Die Schlüsselfigur in dieser «Familien»-Geschichte ist der pater familias, der «Vater der Familie», der in diesem Haushalt, diesem Staat im Staate, frei schaltete und waltete und dessen «väterliche Gewalt» sich von der mater familias, der «Mutter der Familie», und den Söhnen und Töchtern bis zu derlei Sklavenschaften auf den fernsten Familienbesitzungen erstreckte. Über diesen pater familias, dessen ehrwürdiger, einen altlateinischen Genitiv auf -as bewahrender Titel den Vater der Herrschafts-«Familie» zugleich als Vater der Sklaven-familia ansprach und so die freie «Familie» des Herrn in die unfreie familia der Sklaven einbezog, ist die Bedeutung unseres Stichworts schon früh von der «Sklavenschaft» auf das gerade Gegenteil, auf die «Familie» der Herrschaft, übergegangen.

Die beiden einander entgegengesetzten Bedeutungen sind in klassischer Zeit nebeneinander gebräuchlich geblieben. So kann sich in den Terenzischen «Brüdern» ein alter Herr – zu Unrecht – über einen jungen Liebhaber aus bester Familie empören, der einen Bordellwirt und die ganze bei ihm dienstleistende familia halb totgeschlagen habe, und kann zugleich ein anderer Klage führen über eine weitere vermeintliche Schandtat dieses jungen Mannes und kopfschüttelnd hinzusetzen: «Und das aus dieser angesehenen familia!» Später verweist Julius Cäsar einmal auf die mythische Abstammung seiner «Familie», von Iulus, dem Sohn des Äneas, und damit von der Liebesgöttin Venus.

Besitz und Verwandtschaft

Das Nebeneinander dieser Bedeutungen, das seit dem alten Ennius in die Dichtersprache aufgestiegene Dienerpaar famulus und famula und eine siebenköpfige weitere famul-Wörterfamilie konnten allezeit daran erinnern, dass diese familia auch dann, wenn sie sich auf eine Generationenfolge bezog, eigentlich auf eine wirtschaftende Familie und ihr Familienvermögen deutete. Mit dem Ende der Antike und damit auch der Sklaverei in dieser Form hat sich die Bedeutung der lateinischen familia vollends auf den anderen, engeren Kreis unserer «Familie» zusammengezogen; erst mit diesem Paradigmenwechsel von den Besitzverhältnissen zu den Verwandtschaftsverhältnissen hat das Wort bei uns die «familiäre» häusliche Herdwärme gewonnen, die jetzt von ihm ausstrahlt.


oskisch; Grab in Paestum

Nota. - Der Allgewalt des Pater Familias unterlag auch die Hausfrau, die Mater familias. Dabei it aber zu bedenken, dass die römische Staatsreligion, die das gesamte öffentliche und provate Leben regulierte, auf den 'familiären' Kulten um die Hausgötter beruhte; die häusliche Priesterin war aber die Mater familias.
JE

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