Sonntag, 1. März 2015

Das Märchen von den neuen Formen des Zusammenlebens.

aus Süddeutsche.de, 1. März 2015, 09:14                                                                                       heyplusyou

Vater, Mutter, Krise
Patchwork? Kein Problem mehr, oder? Was längst gesellschaftlich akzeptiert ist, ist allerdings besonders anfällig: Die Hälfte der Beziehungen geht kaputt.

von Hannah Wilhelm

Sie haben Hänsel und Gretel in den Wald geschickt. Sie wollten Schneewittchen vergiften und haben Aschenputtel putzen lassen. Stiefmütter sind, das weiß jedes Kind, hinterhältig und böse. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass sie heutzutage Bonus-Mütter genannt werden.


Lange wurde das Phänomen Patchwork romantisiert, also Familien, in denen mindestens ein Partner ein Kind aus einer früheren Beziehung mitbringt. Weil es bei Demi Moore und Ashton Kutcher so hübsch aussah. Und bei Christian Wulff und seiner Frau Bettina auch. Vor allem aber, weil kein Problem sein durfte, was längst gesellschaftliche Wirklichkeit geworden ist.


Deutschlands Familienberatungsstellen und Therapeuten sehen das anders: Geschätzt die Hälfte der neuen Beziehungen geht wieder kaputt - die Trennungswahrscheinlichkeit ist damit höher als unter Paaren in erster Ehe. Kein Zufall also, dass sowohl Demi Moore und Ashton Kutcher als auch die Wulffs wieder getrennt sind.


Besonders heikel ist die Konstellation, so die Experten, wenn ein Mann mit Kindern mit einer neuen Frau ohne Kinder zusammenkommt. "Es ist schwieriger, wenn einer von beiden kein Kind und damit weniger Verständnis hat für das Leben mit Kindern", erklärt Therapeutin Andrea Müller, die in der Nähe von München Patchwork-Familien berät. Zudem machen die Ansprüche der Gesellschaft an eine Stiefmutter sowie ihre eigenen eben jene Konstellation so schwierig. Denn die Ansprüche sind hoch. Zu hoch. "Ganz oft nehmen sich die Beteiligten vor, nun alles richtig zu machen, nachdem beim ersten Mal etwas schiefgegangen ist", sagt Andrea Müller.


Stiefmütter haben es oft schwerer als Stiefväter

Nicht selten wird der Stiefmutter die Schuld für viele Probleme in die Schuhe geschoben. Sie war doch schon bei Aschenputtel die Böse. Katharina Grünewald ist selbst Stiefmutter zweier Kinder und berät als Psychologin in Köln betroffene Familien. Sie findet: Stiefmutter zu sein ist ein ziemlich schwieriger Job in einer ziemlich schwierigen Situation. "Eine Stiefmutter soll die von der Trennung geschädigten Kinder lieben und retten. Und von einem Moment auf den anderen Mutter sein, auch wenn sie das vorher nicht war", sagt sie. Die enormen Ansprüche liegen daran, dass unsere Gesellschaft grundsätzlich die Rolle der Mutter übermäßig romantisiert. So wird auch von einer Stiefmutter plötzlich viel verlangt.


Für die Stiefväter gilt das weniger. Deshalb fühlen sich diese oft weniger belastet, weniger unter Druck als eine Stiefmutter. Kümmert er sich, finden das alle Umstehenden bewundernswert. Kümmert er sich nicht, gibt es dafür auch Verständnis. Diese Freiheit hat eine Stiefmutter nicht.


Der neue Mann an ihrer Seite, der Vater der Kinder, möchte eine "normale Familie" leben und seinen Kindern auch eine solche bieten mit Zoobesuchen, Spieleabenden, Urlaubsplänen. Schließlich hat er nur seine Frau verlassen und nicht seine Kinder. Und dieses Mal soll es bitte gut gehen. "Die unausgesproche- nen und ausgesprochenen Erwartungen machen es so schwer", sagt Katharina Grünewald. Der Vater wünscht sich, dass seine Partnerin mitspielen und die Kinder genauso wichtig und toll finden soll wie er. "Grundsätzlich ist das Bild der armen Kinder sehr stark. Dagegen kann sich kaum eine Stiefmutter wehren", sagt Grünewald. Die Kinder gehen vor. Und viele Frauen überfordern sich und stellen ihre Bedürfnisse zurück.


Die Euphorie der Stiefmütter überfordert die Kinder meist


Sonja zum Beispiel, die noch bis vor vier Wochen alleine lebte, zieht ruckzuck mit Robert zusammen. Sie macht jeden Tag mit seiner achtjährigen Tochter Johanna Hausaufgaben, statt Freunde zu treffen, und organisiert eine überdimensionierte Geburtstagsfeier für die Kleine. Sechs Stunden bastelt sie an einer Torte voll mit Marzipan-Prinzessinnen. Als alle Freundinnen da sind, sagt Johanna laut: "Von der Torte esse ich nichts, die ist von der da und nicht von meiner Mama." Die Euphorie der Stiefmütter überfordert die Kinder meist.


Die Kinder wünschen sich häufig ihre Familie zurück. Sind sie beim Papa, fehlt die Mama. Und andersherum. Haben sie miterlebt, wie etwa die Mutter unter der Trennung leidet, bringt sie Papas neue Freundin in Loyalitätskonflikte. "Viele Kinder haben das Gefühl, sie dürfen sich etwa nicht mit der neuen Frau ihres Vaters verstehen, weil sie damit ihre Mutter verraten", erklärt Grünewald. Daher glauben sie, sich von der Stiefmutter distanzieren zu müssen, gerade dann, wenn sie etwas Nettes getan hat. Wie eine Torte zu backen.



Nota. - Das Verhältnis zwischen Eltern und ihren Kindern, der Umstand, dass einer den andern auf die Welt gebracht hat, ist schicksalhaft und einzigartig. Es mag ein jeweils gutes oder schlechtes sein - auf jeden Fall wird es dauern, ein Leben lang. Daran können die Zeitgeister nichts ändern. Lebensabschnitts- partnerschaften dagegen müssen nicht dauern, es steckt von Anfang an ein Zweifel und ein Vorbehalt darin.

Eltern-Kindschaft und Lebensabschnittspartnerschaften haben eine unterschiedliche Statik und eine unter- schiedliche Dynamik. Beide durcheinander rühren kann nie zu einer Normalität führen.

JE

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