Montag, 20. Oktober 2014

"Eltern haben in der Schule nichts zu sagen"


aus derStandard.at,

"Eltern haben in der Schule nichts zu sagen"
Erziehungswissenschafterin Wolf: Viele sozial benachteiligte Eltern fühlen sich von der Schule übergangen und abgekanzelt - Kluft zwischen Stadt und Land

Innsbruck/Wien - Sozial benachteiligte Eltern fühlen sich von der Schule übergangen. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der Erziehungswissenschafterin Maria Wolf (Uni Innsbruck), für die sie Einzel- und Gruppeninterviews mit sozioökonomisch oder vom Bildungsverlauf benachteiligten Eltern geführt hat. Bei der Unterstützung für die Kinder gebe es zudem eine deutliche Kluft zwischen Stadt und Land.

"Eltern haben in der Schule nichts zu sagen"

Innerhalb der interviewten Gruppe habe man auf eine Vielzahl an unterschiedlichen Lebensläufen geachtet, so Wolf. So habe man mit Alleinerziehern, Patchwork- sowie klassischen Familien, Migranten wie "Einheimischen" sowie Land- und Stadtbewohnern gesprochen. Auch arbeitslose Akademiker seien darunter gewesen. Ein roter Faden durchziehe die Berichte dabei, schreibt sie in einer Broschüre zum Thema: "Eltern haben in der Schule 'nichts zu sagen', obwohl sie von der Schule ständig eingeladen werden 'zu sprechen' und die Schule täglich Gesprächsthema zwischen Eltern und Kindern ist."

"Diese Eltern machen immer wieder die Erfahrung, dass sie vortragen können, was sie wollen - sie merken aber, dass sie damit keinen Erfolg haben", so Wolf. "Sie erfahren ein Machtgefälle zwischen Elternhaus und Schule." Dabei seien sie oft in der Zwickmühle, durchaus konstruktive Kritik vortragen zu wollen, gleichzeitig aber diese so formulieren zu müssen, dass "die Lehrerin nicht verärgert ist". In einem Interview habe eine Frau etwa gemeint: "Aber auf jeden Fall" müsse sie "beim Sprechen mit der Lehrerin immer 'Okay, Frau Lehrerin, du hast recht' sagen", bevor sie auch ihre Kritik äußere.

Abgekanzelt und ignoriert

Trotzdem würden sie regelmäßig abgekanzelt bzw. ignoriert, so Wolf. Sie erführen dabei regelmäßig - und das sei der zweite rote Faden in der Studie -, dass "in der Schule eine 'Kultur der Unfehlbarkeit' vorherrscht: Die Schule macht alles richtig". Konsequenz: Viele Eltern würden nach einmal fruchtlos geäußerter Kritik den Kontakt vermeiden.

Mit der Forschungsarbeit will Wolf auch das unterbelichtete Feld der Elternforschung in den Fokus rücken: "Die Schulpädagogik untersucht seit Jahrzehnten unterschiedliche Aspekte des Schulalltags: Didaktik, Schüler-Lehrer-Beziehung etc. Das ist auch gut. Lehrer können daher immer wieder auf Studien oder ihre gewerkschaftliche Vertretung zurückgreifen. Bei Eltern ist das anders: Es gibt kaum Studien, und die Elternvertretung wird nicht wirklich als solche wahrgenommen. Deren Aufgabe wird darin gesehen, das Buffet bei Schulveranstaltungen zu organisieren - einen Machtfaktor stellt sie nach Ansicht der Eltern nicht dar. Der Einfluss der Elternvertretung an den Schulen geht gegen null."

Übertritt von Volksschule

Überrascht war Wolf über die unterschiedlichen Fördermöglichkeiten zwischen Stadt und Land: "In der Stadt wird eine Infrastruktur angeboten mit Hortbetreuung, Schulen mit Nachmittagsbetreuung oder Lernhilfe. Wenn man am Land benachteiligt ist, kommt man da nicht raus." Eltern würden ihre Kinder zwar jährlich zur Lernhilfe am Nachmittag anmelden, diese komme aber nie zustande, da sich aufgrund der niedrigen Bevölkerungszahl zu wenige Kinder angemeldet hätten, heißt es in einem Interview. Und, so eine Mutter: "Ein Lehrer will ja auch am Nachmittag seine Freiheiten oder seine Freizeit haben. Und wenn da jetzt zehn Manderln sind von Kindern, wird sich der da nicht hinsetzen und mit den Kindern lernen."

Benachteiligung am Land

Übergangen fühlen sich viele Eltern am Land auch beim Schulwechsel nach der Volksschule - die Entscheidung für die Hauptschule bzw. Neue Mittelschule werde dabei oft als gegeben angesehen, zeigen manche Interviews. "Das ist automatisch gegangen. Weil wir dann nach XXX hergezogen sind, und da ist die Volksschule und Hauptschule eben gleich nebeneinander, und da ist überhaupt nie irgendwas geredet worden. Das ist das, was ich eigentlich auch nie verstanden habe. Das ist, wie wenn das normal gewesen wäre, automatisch. Da hat uns auch niemand informiert oder irgendwas ..."

Besonders betroffen davon sind Kinder von Eltern mit Migrationsgeschichte: "Viele Volksschullehrerinnen sagen immer: 'Ah, euer Kind kann nicht ein Gymnasium besuchen, es muss die Hauptschule besuchen' und so weiter. Kannst du mal Hauptschule besuchen ... Trotz lauter Noten mit Eins." Oder: "Sie hat komischerweise allen türkischstämmigen Mädchen die gleiche Schule empfohlen ..." 
(APA)


Nota
Da mag sich ein Lehrer noch so mühen, an der Grundsituation wird er nichts ändern: Gegenüber Privatpersonen, die "immer nur an ihr eigenes Kind denken", vertritt er eine Institution, die ihrerseits das Große Ganze vertritt. Das ist ein Ungleichgewicht, das sich nicht aus der Welt schaffen lässt. Dass er sich im Gespräch als pädagogischer Experte gegenüber bloßen Dilettanten fühlt, weil er eine staatlich zertifizierte Ausbildung absolviert hat, kommt erschwerend hinzu, ist aber nicht der Kern des Problems (wenn's auch die Eltern am meisten wurmt). Die Schule ist selber das Problem und wird es immer bleiben, weil sie nur eine Notlösung ist und kein Ideal, an dessen Erfüllung sich arbeiten ließe.
JE

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