Sonntag, 8. Oktober 2017

Wen die Schule wirklich benachteiligt.

aus derStandard.at, 28. März 2017
 
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Eine neue Studie zeigt, dass vor allem bei Buben der sozioökonomische Hintergrund die geschlechterstereotype Leistung beeinflusst

Wer kann was? Diese Frage halbwegs objektiv zu beantworten fällt schwer. Noch immer verstellen viele verschiedene Kriterien, die mit dem Können oder Wollen an sich wenig zu tun haben, vorurteils- freie Einschätzungen. Leistungsdifferenzen in bestimmten Schulfächern im Hinblick auf die Geschlechter müssen immer wieder als vermeintliche Belege für geschlechtsspezifische Kompetenzen herhalten. 

Obwohl herrschende Vorurteile unter Lehrenden, die Selbsteinschätzung als Leistungshemmer für Schülerinnen und Schüler und auch die Tatsache, dass das Geschlecht die Beurteilung der jeweiligen Leistung beeinflusst, bereits nachgewiesen sind – die Mär von "Buben können Mathe" und "Mädchen Sprachen" hält sich.

Wechselwirkung mit sozialem Status

Eine neue Studie hat sich nun einen weiteren Einflussfaktor genauer angesehen, der die Bildung junger Menschen prägt: der soziale Hintergrund. Er gibt oft, in Österreich in besonders hohem Ausmaß, den Ausschlag darüber, ob jemand eine weiterführende Schule besucht oder nicht. ForscherInnen haben nun diesen Aspekt mit geschlechterspezifischen Einflussfaktoren kombiniert und herausgefunden: Der Einfluss vom Geschlecht fällt je nach sozialer Herkunft unterschiedlich aus. 

"Mädchen und Jungen sind keine homogenen sozialen Gruppen", weiß Bildungswissenschafterin Josefine Lühe, die sich gemeinsam mit Wissenschaftern des Deutschen Instituts für Internationale Pädagogische Forschung (DIPF) mit der noch wenig beforschten Wechselwirkung zwischen sozialem Hintergrund und Geschlecht befasst hat. 

Für die Studie wurden Leistungstests von 3.935 Schülerinnen und Schülern aus 90 verschiedenen Berliner Grundschulen aus der sechsten Schulstufe untersucht – in Berlin und Brandenburg umfasst die Grundschule sechs Schuljahre. Dabei konzentrierten sich die ForscherInnen auf die Tests in Lesen, Mathematik und Englisch. Zusätzlich wurden die Angaben der Eltern über ihren sozioökonomischen Status für die Analysen hinzugezogen.

Variierende Männlichkeitsvorstellungen

Es zeigte sich, dass sich auf den ersten Blick die Leistungen tatsächlich nach Geschlecht unterscheiden. Mädchen schnitten in Lesen und Englisch, Buben in Mathematik besser ab. Doch die genauere Analyse zeugte von einem weiteren Einfluss auf die Leistungen: Die unterschiedlichen Leistungen fallen je nach sozialer Herkunft stärker oder schwächer aus. So fällt der Leistungsrück- stand von Buben in sprachlichen Fächern geringer aus, wenn sie aus einer Familie mit höherem sozialem Status kommen.

Zudem konnte die Studie belegen, dass bei Buben der Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Leistung stärker ist als bei Mädchen. Warum der Einfluss des sozio-ökonomischen Hintergrundes für Buben stärker und für Mädchen weniger stark ausfällt, wurde im Rahmen der Studie nicht unter- sucht. "Qualitative Untersuchungen sprechen dafür, dass es bei Jungen teilweise schichtspezifisch variierende Männlichkeitsvorstellungen gibt", erklärt Lühe gegenüber dem STANDARD. So würde schulisches Engagement vorwiegend mitunter in Gruppen mit geringerem sozioökonomischem Status als "unmännlich" abgelehnt, in Gruppen mit höherem sozioökonomischem Status aber eher akzep- tiert, führt die Bildungswissenschafterin weiter aus. Die Weiblichkeitsvorstellungen hingegen variieren nicht so stark mit der Herkunft und deshalb sei der Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Leistung bei Mädchen weniger stark als bei Buben.

In der Forschungsliteratur würde auch darauf hingewiesen, dass das Arbeits- und Lernverhalten von Mädchen insgesamt besser mit den schulischen Verhaltensanforderungen übereinstimme, so Lühe. Ein gängiges Vorurteil sei etwa jenes der "fleißigen und ordentlichen Mädchen". Stereotypen wie diese "stimmen mit den im Schulkontext erwarteten Eigenschaften überein und können sich deshalb positiv auf den Schulerfolg auswirken". 


Und das wahrscheinlich nicht nur in Berlin, wo die Daten erhoben wurden. Lühe sieht in Analysen auf Basis von Pisa-Daten Hinweise darauf, dass es diesen Effekt auch außerhalb Deutschlands gibt. (beaha)

Links
Studie: Geschlechtsspezifische Leistungsunterschiede in Abhängigkeit der sozialen Herkunft. Eine Untersuchung zur Interaktion zweier sozialer Kategorien

Deutsche Institut für Internationale Pädagogische Forschung (DIPF)


Nota. - Im politisch korrekt konditionierten Hirn läuft sogleich folgender Film ab: Jungen aus der sozialen Unterschicht hängen stärker als Jungen aus gebildeten Kreisen an dem jahrtausendealten Macho-Bild vom starken Rüpel; sie zahlen den Preis für die uralte Überlegenheit des Mannes über die Frau.

Selbstverständlich mitgedacht ist: Das Macho-Bild ist eine Schöpfung der Männer, um die Frau zu unter- drücken. 

Aber sie hätten doch ebensogut Wissen, Kunst und Kultur als typisch Mann stereotypisieren könne, die waren doch auch seit Ewigkeit männliche Domänen - Apollinisch ist männlich, Dionysisch ist halb und halb; und die Klassenherrschaft hätte es obendrein sanktioniert?!

Tja, das Leitbild des Macho ist eben keine Erfindung der Männer, sondern eine der Frauen. Als Muskelprotz darf er den starken Mann markieren, aber als einfältiger Packesel dient er der Frau. Es ist nämlich die Frau, die seit Jahrhunderttausenden durch natürliche Zuchtwahl das Bild bestimmt, das die Männer von sich haben - weil sie sich nur so erhalten können. Und noch heute sind es weniger die Väteer aus der Unterschicht, die den Macho kultivieren, der gesellschaftlich längst verpönt ist; sondern die Mütter und Großmütter - und die Schwestern und deren Freundinnen? -, die den richtigen Jungen bevorzugen und nicht den Musterknaben. 

Allerdings nicht die LehrerInnen.
JE

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